Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 20.05.2008
Aktenzeichen: 1 U 122/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
Auf ein erhöhtes Karriesrisiko bei einer kieferorthopädischen Behandlung mit einer festen Zahnspange ist nicht im Rahmen der Risikoaufklärung, sondern im Rahmen der therapeutischen Sicherheitsaufklärung hinzuweisen.
Oberlandesgericht Stuttgart 1. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 1 U 122/07

Verkündet am 20. Mai 2008

In dem Rechtsstreit

wegen Arzthaftung

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 08. Mai 2008 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Dörr Richter am Oberlandesgericht Dr. Häcker Richter am Landgericht Jakob

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Ellwangen vom 05.09.2007 - 5 O 420/06 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 6.900 €

Gründe:

- abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO -

I.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten aus positiver Vertragsverletzung des Behandlungsvertrages kein Schadensersatzanspruch zu. Ein Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch ergibt sich auch nicht aus unerlaubter Handlung gem. §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB a. F..

1. Der Kläger war vom 19.03.2001 bis 05.03.2002 bei dem Beklagten in kieferorthopädischer Behandlung. Im Herbst 2001 sind Entkalkungsflecken an den Frontzähnen aufgetreten. Daher beurteilen sich die geltend gemachten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche nach altem Schuld- und Schadensersatzrecht (Art. 229 §§ 5, 8 Abs. 1 EGBGB).

2. Der Beklagte haftet nicht wegen einer unzureichenden Aufklärung des Klägers über das bei der Behandlung mit einer festen Spange bestehende erhöhte Kariesrisiko.

a) Zwar geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass der Beklagte als Arzt die Beweislast für eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung trägt. Insoweit unterscheidet sich die Beweislastverteilung von derjenigen bei der Verletzung der Pflicht zur therapeutischen Aufklärung. Eine unzureichende therapeutische Aufklärung begründet einen Behandlungsfehler, für den die Patientenseite beweisbelastet ist (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl., C Rdnr. 130 f.; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl., Rdnr. 563, 574).

b) Das erhöhte Kariesrisiko bei der Behandlung mit einer festen Spange ist jedoch kein aufklärungspflichtiges Behandlungsrisiko. Vielmehr ist die im Rahmen einer solchen Behandlung gebotene Aufklärung über die Notwendigkeit einer besonders sorgfältigen Zahnhygiene dem Bereich der therapeutischen Sicherheitsaufklärung zuzuordnen.

Aufklärungspflichtig im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung sind Risiken, die der Behandlung typischerweise anhaften. Der Patient soll über die mit der fehlerfreien medizinischen Behandlung möglicherweise verbundenen Schädigungsrisiken unterrichtet sein, um selbstbestimmt in die Behandlung einwilligen zu können (Geiß/Greiner, a. a. O., C Rndr. 41 ff; Steffen/Pauge, a. a. O., Rdnr. 329 ff.). Dagegen hat die therapeutische Aufklärung Risikoschutzpflichten des Arztes zum Gegenstand. Der Patient soll durch die Erteilung von Schutzhinweisen zur Mitwirkung an der Heilung und zur Vermeidung einer möglichen Selbstgefährdung angehalten werden (Geiß/Greiner, a. a. O., B Rdnr. 95; Steffen/Pauge, a. a. O., Rdnr. 325). Da auch die therapeutische Aufklärung grundsätzlich eine Risikokomponente enthält und Risiken gleichzeitig sowohl im Rahmen der therapeutischen als auch im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung aufklärungspflichtig sein können (vgl. Geiß/Greiner, a. a. O., B Rdnr. 97), ist zur Abgrenzung auf den Zweck der Aufklärung und nicht auf den Zeitpunkt, zu dem die Aufklärung zu erfolgen hat, abzustellen (vgl. Hausch VersR 2007, 167).

Über das im Zusammenhang mit einer kieferorthopädischen Behandlung mit einer festen Spange erhöhte Kariesrisiko ist hiernach ausschließlich therapeutisch aufzuklären. Zwar hat der Sachverständige Prof. Dr. Dr. G ..... ausgeführt, das Risiko von Entkalkungen beim Einsatz einer festen Spange, die sich als weiße Flecken zeigen, sei bekannt, so dass darauf hingewiesen werden müsse. Es genüge der Hinweis, dass sich Karies bilden könne, da die Entkalkung die Vorstufe von Karies sei. Aus diesen Ausführungen des Sachverständigen folgt jedoch nicht, dass der erforderliche Hinweis über das Kariesrisiko im Rahmen der Risikoaufklärung zu erfolgen hat. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Aufklärung nach dem Sachverständigen vor Behandlungsbeginn erfolgen muss. Die Ausführungen des Sachverständigen stehen vielmehr eindeutig im Kontext zu den konkreten Anforderungen an die therapeutischen Hinweise über erforderliche Prophylaxemaßnahmen. Im Rahmen dieser Aufklärung ist darauf hinzuweisen, dass sich bei unzureichender Mundhygiene Karies bilden kann (Bl. 57 d. A.). Das allgemeine, nicht behandlungsspezifische und damit nicht risikoaufklärungspflichtige Kariesrisiko wird durch die Behandlung mit einer festen Spange im Bereich der Brackets nur für den Fall unzureichender Zahnpflege erhöht. Durch ausreichende Zahnpflege kann das Risiko dagegen nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ausgeschlossen werden (Bl. 59 d. A.). Das Risiko haftet somit nicht der Behandlung, sondern dem Verhalten des Patienten an. Die auch aus Sicht des Sachverständigen gebotene Aufklärung hat ausschließlich den Zweck, den Patienten darauf hinzuweisen, dass eine erfolgreiche Behandlung dessen Mitwirkung erfordert.

3. Der Kläger hat den Nachweis, dass die Mundhygieneinstruktion durch den Beklagten unzureichend war, nicht erbracht.

Das Landgericht vermochte sich nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. G ..... sowie nach Anhörung des Klägers, dessen Mutter und der Arzthelferin nicht davon zu überzeugen, dass der Beklagte ungenügend über die aufgrund der Behandlung mit einer festen Spange erforderlichen Zahnpflegemaßnahmen aufgeklärt und in diese eingewiesen hat.

An diese Feststellungen ist der Senat gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Es sind keine Anhaltspunkte vorgebracht, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen. Der Kläger kann sich auch nicht auf eine Beweiserleichterung in Folge eines Dokumentationsmangels stützen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 543 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

Zurück